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Interview mit GSO Matthias Steybe

„Chancen der Kreislaufwirtschaft werden zu wenig genutzt“

Der D21-Digital-Index erfasst jedes Jahr den Digitalisierungsgrad der deutschen Gesellschaft. Die jüngste Veröffentlichung zeigt unter anderem, welche Sorgen über die ökologischen Auswirkungen des digitalen Wandels die Gesellschaft umtreibt.

Für Matthias Steybe, Group Sustainability Officer (GSO) von CHG-MERIDIAN entschärfen IT-Nutzungsmodelle, die auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft basieren, den ökologischen Fußabdruck der Digitalisierung.

Herr Steybe, Deutschland gilt, was die Digitalisierung anbelangt, als eines der Schlusslichter in Europa. Entspricht dieses Image auch der Realität?

Nein, so drastisch würd ich das nicht formulieren. Die Digitalisierung ist mittlerweile voll in der deutschen Arbeitswelt angekommen. Computer, Notebooks, Smartphones & Co. sind aus dem Arbeitsalltag mittlerweile kaum noch wegzudenken. Laut D21-Digital-Index arbeiten 38 Prozent der Befragten mittlerweile mobil. Bei Menschen, die Bürotätigkeiten ausüben, liegt der Anteil sogar bei 67 Prozent. Hybride Arbeitsmodelle sind in Deutschland also immer verbreiteter und sorgen dafür, dass der Bedarf an IT-Ausstattung seit mehreren Jahren entsprechend stark wächst.

Ein Mehr an Digitalisierung bedeutet auch ein Mehr an Ressourcen für die entsprechenden Technologien. Müssen wir uns zwischen Fortschritt und Nachhaltigkeit entscheiden?

Die Nutzer beschäftigt das Thema in der Tat. Rund zwei Drittel der D21-Index-Befragten machen sich ernste Sorgen über die ökologischen Konsequenzen der fortschreitenden Digitalisierung. Vor allem Berge an Elektromüll und knapp werdende Rohstoffe sind da die wesentlichen Bilder in den Köpfen. Dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind, wissen wir bereits seit einiger Zeit: Weltweit fallen ganze 54 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr an. Dazu trägt auch die vorschnelle Entsorgung von nur kurzfristig genutzter IT-Hardware bei, obwohl diese eigentlich noch funktionsfähig wäre.

Der D21-Digital-Index 2022/23

Warum ist das so?

Gerade im Kontext von IT-Infrastrukturen von Unternehmen ist dieses Vorgehen leider gängige Praxis. Dort werden in regelmäßigen Abständen die IT-Ausstattung der Mitarbeiter:innen komplett oder teilweise erneuert. In vielen Fällen verstauben indes aber die alten IT-Geräte im Keller oder landen auf dem Schrottplatz, statt nochmals in einen Nutzungszyklus überführt zu werden. Das ist gleichzeitig Ressourcen- und Geldverschwendung. Und die Gesellschaft ist sich des Problems bereits bewusst: 71 Prozent der Befragten gaben an, dass sie im Privaten erst dann neue Geräte anschaffen würden, wenn es tatsächlich nötig sei.

Matthias Steybe, Group Sustainability Officer (GSO) bei CHG-MERIDIAN

„Zirkuläre IT-Nutzungsmodelle entschärfen den ökologischen Fußabdruck der Digitalisierung“

Wie gehen Politik und Wirtschaft mit dieser Herausforderung um?

Nachhaltigkeit dominiert die Agenda von Unternehmen und Regierungen schon seit Jahren und nimmt gerade aktuell weiter an Bedeutung zu. Initiativen wie der Circular Economy Action Plan der EU-Kommission bringt da Fahrt in die Entwicklung. Das ist auch gut so, denn die Lücke zwischen Zielsetzung und Umsetzung klafft weit auseinander: Der im Januar 2023 veröffentlichte „Circularity Gap Report“ der Circle Economy Foundation unterstreicht, dass der Handlungsbedarf enorm ist. Die Weltwirtschaft ist momentan nur zu 7,2 Prozent zirkulär – im Vergleich zu 2018 ist der Anteil sogar um 1,9 Prozentpunkte geschrumpft.

Ist die Idee der Kreislaufwirtschaft somit am Ende?

Nein, ganz und gar nicht! Die Entwicklung zeigt uns: Wir wirtschaften weiter vorrangig „linear“, und nutzen die Chancen und Potentiale der Kreislaufwirtschaft bei weitem zu wenig. Die Diskrepanz zwischen Anstrengungen und Ergebnissen beim Thema Kreislaufwirtschaft ist nach wie vor sehr groß. Kritiker sehen darin gar, dass wir „Gefangene einer Illusion der Gültigkeit“ sind.  Das ist aber auch viel verlangt aus meiner Sicht: denn die Anforderungen an Zeit und Investition in ein Circular Thinking, von der Produktentwicklung bis hin zur Nutzung, sind enorm und komplex.

Seit 2020 bei CHG-MERIDIAN als Group Sustainability Officer tätig: Matthias Steybe

Vor diesem Hintergrund ist CHG-MERIDIAN mit einem Life-Cycle-Thinking quasi Branchen-Pionier, richtig?

Ja, richtig, und das seit mehr als 40 Jahren. So beunruhigend die Ergebnisse des Circularity Gap Report auch sind, sie zeigen vor allem Potenziale auf: Im Bereich IT können wir durch zirkuläre Nutzungsmodelle einiges bewirken. Die zurückgegebene IT-Hardware unserer Kunden zum Beispiel bereiten wir zu 96 Prozent in unseren Technologiezentren auf. Damit bringen wir jährlich circa 840.000 Geräte wie Laptops und Smartphones zurück auf den Markt und machen sie für einen weiteren Nutzungszyklus wieder fit – denn das Ende der Nutzungsdauer ist hier nur selten äquivalent zum Ende der potenziellen Lebensdauer eines Geräts.

Im unternehmenseigenen Technologiezentrum von CHG-MERIDIAN nahe Frankfurt wird Kreislaufwirtschaft greifbar.

Und was ist der ökologische „benefit“ hierbei?

Im Vergleich zum klassischen Kauf können so nicht nur die CO2-Emissionen mehr als halbiert, sondern auch der Einsatz von wertvollen Rohstoffen um das 2,5-fache reduziert werden. Im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung spielt das IT-Equipment eine besonders große Rolle, da darin viele seltene Rohstoffe verarbeitet werden und bei der Herstellung der IT-Geräte sehr viel CO2 freigesetzt wird. Der Materialwert der Metalle, die sich allein in ungenutzten Smartphones befinden, beläuft sich auf etwa 240 Millionen Euro und könnte geschätzt den Materialbedarf für Smartphones in Deutschland für die nächsten 10 Jahre abdecken, das hatte jüngst das Institut der deutschen Wirtschaft (IDW) errechnet. Wir stehen also vor einer Weggabelung, an der wir zunächst das Produktdesign radikal verändern, Recycling neu denken und uns auch über alternative Geschäftsmodelle im Sinne der Circular Economy klar werden müssen.

Wenn Nutzungsmodelle und Kreislaufwirtschaft so viele Vorteile bieten, warum wird dieses Modell dann nicht flächendeckend umgesetzt?

Offensichtlich hat sich dieses Bewusstsein noch nicht nachhaltig auf Entscheidungsebene in Unternehmen durchgesetzt. Erst ein Drittel der Entscheider:innen gibt in einer von uns beauftragten Survey an, refurbishte IT, also gebrauchte und wieder aufbereitete IT-Geräte, im Unternehmen zu verwenden. Meist werden dafür Qualitätsbedenken angeführt. Unsere Neugründung circulee in Berlin zeigt indes, dass dies durchaus funktioniert. Darüber hinaus nehme ich vor allem bei internationalen Kunden wahr, das sich in den Einkaufsprozessen etwas ändert. Nachhaltigkeitsaspekte bekommen neben den „Klassikern“ wie Kosten und Qualität den gleichen Stellenwert. Ein Beweis mehr für mich, dass eine simple, betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung nicht zu der Erkenntnis führt, dafür müssen wir das „linear thinking“ verlassen.

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